DE/BG 9.11
VERS 11
- अवजानन्ति मां मूढा मानुषीं तनुमाश्रितम् ।
- परं भावमजानन्तो मम भूतमहेश्वरम् ॥११॥
- avajānanti māṁ mūḍhā
- mānuṣīṁ tanum āśritam
- paraṁ bhāvam ajānanto
- mama bhūta-maheśvaram
SYNONYME
avajānanti — verspotten; mām — Mich; mūḍhāḥ — törichte Menschen; mānuṣīm — in einer menschlichen Gestalt; tanum — einen Körper; āśritam — annehmend; param — transzendentales; bhāvam — Wesen; ajānantaḥ — nicht kennend; mama — Mein; bhūta — von allem Existierenden; mahā-īśvaram — der höchste Besitzer.
ÜBERSETZUNG
Toren verspotten Mich, wenn Ich in der menschlichen Gestalt herabsteige. Sie wissen nicht, daß Ich, als der Höchste Herr über alles Existierende, von transzendentalem Wesen bin.
ERLÄUTERUNG
Aus den Erklärungen der vorangegangenen Verse in diesem Kapitel wird klar, daß der Herr, die Höchste Persönlichkeit Gottes, kein gewöhnlicher Mensch ist, obwohl Er in menschlicher Form erscheint. Die Persönlichkeit Gottes, die die Schöpfung, Erhaltung und Vernichtung der gesamten kosmischen Manifestation leitet, kann kein Mensch sein. Dennoch gibt es viele törichte Menschen, die glauben, Kṛṣṇa sei nichts weiter als ein mächtiger Mensch. In Wahrheit ist Er die ursprüngliche Höchste Persönlichkeit, wie es auch in der Brahma-saṁhitā bestätigt wird (īśvaraḥ paramaḥ kṛṣṇaḥ). Er ist der Höchste Herr.
Es gibt viele īśvaras oder Herrscher, von denen einer größer zu sein scheint als der andere. Bei gewöhnlichen Verwaltungsangelegenheiten in der materiellen Welt sehen wir zum Beispiel, daß einem Beamten oder Sekretär ein Direktor übergeordnet ist, diesem ein Minister und diesem wiederum ein Präsident. Jeder von ihnen ist ein īśvara, aber dem einen ist ein anderer übergeordnet. In der Brahma-saṁhitā wird gesagt, daß Kṛṣṇa der höchste īśvara ist. Sowohl in der materiellen als auch in der spirituellen Welt gibt es zweifellos viele Herrscher, doch Kṛṣṇa ist der Höchste Herrscher (īśvaraḥ paramaḥ kṛṣṇaḥ), und Sein Körper ist sac-cid-ānanda, immateriell.
Materielle Körper können nicht so wundervolle Taten vollbringen, wie sie in den vorangegangenen Versen beschrieben wurden. Der Körper Kṛṣṇas ist ewig, glückselig und voller Wissen. Obwohl Er kein gewöhnlicher Mensch ist, verspotten Ihn die Toren und halten Ihn für einen gewöhnlichen Menschen. Sein Körper wird hier als mānuṣīm bezeichnet, weil Er genauso handelt wie ein Mensch, wie ein Freund Arjunas, wie ein Politiker, der in die Schlacht von Kurukṣetra verwickelt ist. In vieler Hinsicht handelte Er genau wie ein gewöhnlicher Mensch, doch im Grunde ist Sein Körper sac-cid-ānanda-vigraha – ewige Glückseligkeit und absolutes Wissen. Dies wird auch in den vedischen Schriften bestätigt: sac-cid-ānanda-rūpāya kṛṣṇāya. „Ich erweise meine Ehrerbietungen Kṛṣṇa, der Höchsten Persönlichkeit Gottes, der die ewige, glückselige Form des Wissens ist.“ (Gopāla-tāpanī Upaniṣad 1.1) Es gibt noch andere vedische Beschreibungen, wie zum Beispiel tam ekaṁ govindam: „Du bist Govinda, die Freude der Sinne und der Kühe.“ Sac-cid-ānanda-vigraham: „Und Deine Gestalt ist transzendental, voller Wissen, Glückseligkeit und Ewigkeit.“ (Gopāla-tāpanī Upaniṣad 1.38)
Trotz der transzendentalen Eigenschaften von Śrī Kṛṣṇas Körper, dessen vollkommener Glückseligkeit und vollkommenem Wissen gibt es viele sogenannte Gelehrte und Kommentatoren der Bhagavad-gītā, die Kṛṣṇa verspotten und Ihn als gewöhnlichen Menschen bezeichnen. Der Gelehrte mag dank vergangener guter Taten als außergewöhnlicher Mensch geboren worden sein, doch eine solche Vorstellung von Kṛṣṇa zeugt von geringem Wissen. Deshalb wird er als mūḍha bezeichnet, denn nur törichte Menschen halten Kṛṣṇa für einen gewöhnlichen Menschen. Sie kennen die vertraulichen Taten des Höchsten Herrn und Seine verschiedenen Energien nicht, und deshalb glauben sie, Er sei ein gewöhnlicher Mensch. Sie wissen nicht, daß Kṛṣṇas Körper der Inbegriff vollkommenen Wissens und vollkommener Glückseligkeit ist, daß Er der Besitzer alles Existierenden ist und daß Er jedem Befreiung gewähren kann. Weil sie nicht wissen, daß Kṛṣṇa so viele transzendentale Eigenschaften in Sich birgt, verspotten sie Ihn.
Auch wissen sie nicht, daß das Erscheinen Kṛṣṇas, der Höchsten Persönlichkeit Gottes, in der materiellen Welt eine Manifestation Seiner inneren Energie ist. Er ist der Meister der materiellen Energie. Wie bereits an mehreren Stellen erklärt wurde (mama māyā duratyayā), sagt Er, daß die materielle Energie, obwohl sehr mächtig, unter Seiner Aufsicht steht und daß jeder, der sich Ihm ergibt, dem Einfluß dieser materiellen Energie entkommen kann. Wenn eine Seele, die sich Kṛṣṇa ergibt, dem Einfluß der materiellen Energie entkommen kann, wie kann dann der Höchste Herr, der die Schöpfung, Erhaltung und Vernichtung der gesamten kosmischen Natur leitet, einen materiellen Körper wie wir haben? Offensichtlich entspringt diese Vorstellung von Kṛṣṇa der reinen Torheit. Verblendete Menschen können sich indes nicht vorstellen, daß die Persönlichkeit Gottes, Kṛṣṇa, der wie ein gewöhnlicher Mensch erscheint, alle Atome und die gigantische Manifestation der universalen Form beherrschen kann. Das Größte und das Kleinste befinden sich jenseits ihres Begriffsvermögens, und folglich können sie sich nicht vorstellen, daß eine Form wie die eines Menschen gleichzeitig das Unendliche und das winzig Kleine beherrschen kann. Doch obwohl Er das Unbegrenzte und das Begrenzte beherrscht, ist Er von all diesen Manifestationen weit entfernt. Im Zusammenhang mit Seiner yogam aiśvaram, Seiner unbegreiflichen transzendentalen Energie, wird eindeutig gesagt, daß Er das Unbegrenzte und das Begrenzte gleichzeitig beherrschen kann, ohne jedoch davon berührt zu werden. Die Toren können sich nicht vorstellen, wie Kṛṣṇa, der geradeso wie ein menschliches Wesen erscheint, das Unbegrenzte und das Begrenzte beherrschen kann, wohingegen die reinen Gottgeweihten dies akzeptieren, denn sie wissen, daß Kṛṣṇa die Höchste Persönlichkeit Gottes ist. Deshalb ergeben sie sich Ihm völlig und beschäftigen sich im Kṛṣṇa-Bewußtsein, im hingebungsvollen Dienst des Herrn.
Zwischen den Unpersönlichkeitsanhängern und den Persönlichkeitsanhängern gibt es viele Meinungsverschiedenheiten in bezug auf das Erscheinen des Herrn in menschlicher Gestalt. Wenn wir jedoch die Bhagavad-gītā und das Śrīmad-Bhāgavatam, die autoritativen Texte zum Verständnis der Wissenschaft von Kṛṣṇa, zu Rate ziehen, werden wir verstehen, daß Kṛṣṇa die Höchste Persönlichkeit Gottes ist. Er ist kein gewöhnlicher Mensch, obwohl Er auf der Erde wie ein gewöhnlicher Mensch erschien. Im Śrīmad-Bhāgavatam, Erster Canto, Erstes Kapitel, sagten die Weisen unter der Führung Śaunakas, als sie über die Taten Kṛṣṇas Fragen stellten:
- kṛtavān kila karmāṇi
- saha rāmeṇa keśavaḥ
- ati-martyāni bhagavān
- gūḍhaḥ kapaṭa-māṇuṣaḥ
„Śrī Kṛṣṇa, die Höchste Persönlichkeit Gottes, spielte zusammen mit Balarāma die Rolle eines Menschen, und so verschleiert, vollbrachte Er viele übermenschliche Taten.“ (Śrīmad-Bhāgavatam 1.1.20)
Das Erscheinen des Herrn als Mensch verwirrt die Toren. Kein Mensch könnte die wunderbaren Taten vollbringen, die Kṛṣṇa vollbrachte, als Er auf der Erde gegenwärtig war. Als Kṛṣṇa vor Seinem Vater und Seiner Mutter, Vasudeva und Devakī, erschien, zeigte Er Sich ihnen mit vier Händen, aber nach den Gebeten Seiner Eltern verwandelte Er Sich in ein gewöhnliches Kind. Im Bhāgavatam (10.3.46) heißt es in diesem Zusammenhang: babhūva prākṛtaḥ śiśuḥ. Er wurde genau wie ein gewöhnliches Kind, ein gewöhnlicher Mensch. Auch in diesem Vers wird darauf hingewiesen, daß das Erscheinen des Herrn als gewöhnlicher Mensch einer der Aspekte Seines transzendentalen Körpers ist. In ähnlicher Weise heißt es im Elften Kapitel der Bhagavad-gītā, daß Arjuna darum betete, Kṛṣṇas vierhändige Form zu sehen (tenaiva rūpeṇa catur-bhujena). Nachdem Kṛṣṇa diese Form offenbart hatte, nahm Er auf Bitten Arjunas wieder Seine ursprüngliche menschengleiche Form an (mānuṣaṁ rūpam). Diese verschiedenen Aspekte des Höchsten Herrn sind gewiß nicht die eines gewöhnlichen Menschen.
Einige von denen, die Kṛṣṇa verspotten und die von der Māyāvādī-Philosophie angesteckt sind, zitieren den folgenden Vers aus dem Śrīmad-Bhāgavatam (3.29.21), um zu beweisen, daß Kṛṣṇa nur ein gewöhnlicher Mensch ist: ahaṁ sarveṣu bhūteṣu bhūtātmāvasthitaḥ sadā. „Der Höchste ist in jedem Lebewesen gegenwärtig.“ Wir sollten unser Verständnis dieses Verses jedoch lieber von den Vaiṣṇava-ācāryas wie Jīva Gosvāmī und Viśvanātha Cakravartī Ṭhākura beziehen, als uns an die Interpretation unautorisierter Personen zu halten, die Kṛṣṇa verspotten. Jīva Gosvāmī sagt in seinem Kommentar zu diesem Vers, daß Kṛṣṇa in Seiner vollständigen Erweiterung als Paramātmā in allen beweglichen und unbeweglichen Wesen als Überseele gegenwärtig ist. Der Gottgeweihte auf der Anfängerstufe also, der nur der arcā-mūrti, der Form des Höchsten Herrn im Tempel, seine Aufmerksamkeit schenkt und andere Lebewesen nicht achtet, verehrt die Form des Herrn im Tempel vergeblich. Es gibt drei Arten von Gottgeweihten, und der Neuling befindet sich auf der untersten Stufe. Der neue Gottgeweihte schenkt der Bildgestalt im Tempel mehr Aufmerksamkeit als den Gottgeweihten, und Viśvanātha Cakravartī Ṭhākura weist darauf hin, daß diese Einstellung berichtigt werden sollte. Ein Gottgeweihter sollte die folgende Sicht haben: Weil Kṛṣṇa im Herzen eines jeden als Paramātmā gegenwärtig ist, ist jeder Körper die Verkörperung oder der Tempel des Höchsten Herrn; folglich sollte man jeden Körper aufgrund der Gegenwart des Paramātmā respektieren, ebenso wie man dem Tempel des Herrn Achtung erweist. Jedem sollte also der angemessene Respekt erwiesen werden, und niemand sollte mißachtet werden.
Es gibt auch viele Unpersönlichkeitsanhänger, die über Tempelverehrung spotten. Sie sagen: „Wenn Gott überall ist, warum soll man sich auf die Verehrung im Tempel beschränken?“ Aber wenn Gott überall ist, ist Er dann nicht auch im Tempel oder in der Bildgestalt? Die Persönlichkeits- und die Unpersönlichkeitsanhänger werden fortwährend miteinander streiten, doch ein vollkommener Gottgeweihter im Kṛṣṇa-Bewußtsein weiß, daß Kṛṣṇa einerseits die Höchste Persönlichkeit ist und andererseits gleichzeitig alles durchdringt, wie es in der Brahma-saṁhitā bestätigt wird. Obwohl Er Sich immer in Seinem persönlichen Reich, Goloka Vṛndāvana, aufhält, ist Er durch verschiedene Manifestationen Seiner Energie und durch Seine vollständige Erweiterung überall in allen Teilen der materiellen und spirituellen Schöpfung gegenwärtig.